Jede Geschichte hat einen Konflikt. Nur dann empfinden wir sie als Geschichte. Welcher Konflikt stellt sich unserer Held:in? Ihr Konflikt ist die treibende Kraft der Geschichte.
Ich hab lange darüber nachgedacht, wie ich den Konflikt fassen kann.
Hier ist mein Ansatz, Geschichten zu verstehen.
Was ist im Mangel?
Wir schreiben gesellschaftlich-persönliche Geschichten wenn wir über das Gute Leben für alle schreiben. Um den Konflikt zu finden, der unsere Geschichte vorantreibt, sehen wir uns jetzt erst einmal etwas Gesellschaftliches an.
Wir nähern uns dem Konflikt über den Mangel. Etwas ist im Mangel.
Lasst uns von dieser Idee ausgehen:
Wir handeln, um uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen. All unser Handeln dient der Erfüllung unserer Bedürfnisse. Das ist nichts rein Egoistisches. Wir haben auch das Bedürfnis nach Verbindung, nach Nähe. Wenn unsere Bedürfnisse gut gesättigt sind, dann geht es uns gut. Dabei gibt es verschiedene Strategien, uns die Bedürfnisse zu erfüllen. Für jedes Bedürfnis gibt es zahlreiche Strategien, um in die Fülle zu kommen. Einige sind erfolgreich, andere nicht. Die Strategien, die wir gerade gesellschaftlich verfolgen, führen uns in den Abgrund. Und gleichzeitig erfüllen sie unsere Bedürfnisse nicht. Wenn wir die Welt als Gesellschaft sehen, dann sind nicht einmal unsere Grundbedürfnisse erfüllt. Nicht im Mindesten.
Was ist jetzt das Gute Leben für alle? Im Guten Leben für alle können sich alle ihre Bedürfnisse erfüllen.
Das bedeutet nicht, dass es konfliktfrei ist, so ein Leben. Konflikte aber werden so gelöst, dass es für alle gut ist. Das ist Frieden. Frieden ist kein konfliktfreier Zustand. Er ist ein Zustand der Lösungen, die die Bedürfnisse aller erfüllen.
Da gibt es die Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wasser, sauberer Luft, lebensförderndem Wetter, Obdach, Versorgung bei Krankheit oder Not.
Körperliche Bedürfnisse nach Erholung, Geborgenheit, körperlicher Nähe, Schutz.
Dann die sozialen Bedürfnisse. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung oder Autonomie. Ich möchte selbst über mein Leben, das was ich denke und tue, bestimmen. Nach Zugehörigkeit zu anderen Menschen oder Gruppen, sonst entsteht eine bestimmte Art von Einsamkeit. Nach Sinn, also zum Beispiel will ich einen Sinn sehen in der Arbeit, die ich mache. Und nach Gesehen-Werden. Ich möchte von anderen gesehen werden, in dem, wer ich bin.
Wenn die Strategie, meine Bedürfnisse zu erfüllen, nicht aufgeht, dann kommt es zu einem Konflikt. Ah! Da kommt er also endlich, der Konflikt. Aber zu ihm kommen wir etwas später.
Jetzt tasten wir uns schriftlich heran:
Was ist gesellschaftlich im Mangel? Was fällt dir gerade jetzt auf?
Worüber möchtest du wirklich schreiben?
Was ist gerade der Mangel, den du am stärksten empfindest?
Zum Beispiel Geborgenheit. Ich empfinde die Gesellschaft als harsch. Es gibt keine Sicherheit, keinen Schutz, und je nachdem, welche Privilegien ich nicht habe, ist sie gewaltvoll. Keine Geborgenheit. Das gibt es höchstens im Privaten. Wenn man aber arbeitslos wird, zum Beispiel, wo ist da die Geborgenheit? Auf Behörden. Im täglichen Leben. Es ist eine schutzlose Gesellschaft und je weniger Privilegien ich habe, desto stärker muss ich das erfahren.
Was siehst du gerade heute? Was ist im Mangel?
Worüber willst du schreiben? Dieser Mangel gibt uns gemeinsam mit der Figur den Konflikt. Das ist der nächste Schritt. Jetzt aber erstmal:
Ein kleiner Text, 15 Minuten. Was ist im Mangel, was ist hier eigentlich los? Worum geht es? Was ist dein Thema? Worüber willst du schreiben?
Schreibe mit Leichtigkeit über das schwere Thema. Lass dich nicht beirren, schreibe das, was gerade kommt. Es gibt kein Falsch. Bis gleich!
Konflikt
In einer Geschichte entwickelt sich die Heldin. Und der Antreiber für diese Entwicklung ist ihr Konflikt. Wir haben Beharrungskräfte in uns, die uns beim Alten halten wollen. Aber die Heldin überwindet diese Kräfte. In ihr ist ein Bedürfnis in extremem Mangel. Und die Räuberleiter, die sie hat, um aus dem Mangel auszubrechen, das ist der Konflikt. Er bringt sie dazu, diese Kräfte zu überwinden und sich dem zu stellen, was sie tun muss. Sie beginnt zu handeln.
Wir wollen jetzt den Konflikt unserer Erzählung erschaffen. Mit allen Sinnen uns in den Konflikt unserer Figur hinein fühlen, mit ihren Fingern tasten, ihre Ohren aufsetzen.
Die Heldin ist in dieser Welt nicht glücklich. Woran liegt das?
Wir können unsere Gefühle als Zeiger auf unsere Bedürfnisse sehen. Seismographen. Sie zeigen an, was im Mangel ist und was in der Fülle. Bei negativen Gefühlen ist ein Bedürfnis im Mangel, bei positiven Gefühlen ist es erfüllt. Wir können immer hinter einem Gefühl das Bedürfnis finden. Das ist der Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation.
Wie finden wir jetzt unseren Konflikt? Der Konflikt entsteht vor uns im freien Schreiben.
Es geht um das Gute Leben für alle. Das ist unser Thema. Ein gerechtes Leben für alle, die gesamte Welt, Menschen und nicht-Menschen, Tiere, Pflanzen, Landschaften, Biotope. Alle.
Wir haben über den Mangel geschrieben. Wir haben unsere Heldin geschrieben.
Schau gern hier nochmal zur Entwicklung einer Figur.
Jetzt lässt du deine Figur selbst sprechen.
Sie fühlt etwas. Was genau fühlt sie? Ihre Gefühle zeigen auf das Bedürfnis, das im Mangel ist, auf genau den gesellschaftlichen Mangel, über den du gerade geschrieben hast.
Die Figur will etwas. Wie prägt sich der gesellschaftliche Mangel in ihrem Leben aus? Was genau fehlt ihr? Was ist es ganz konkret?
Lass sie sich erklären. Taste dich in ihr schreibend vorwärts.
Schreibe 15 Minuten mit leichter Hand. Eine sich schriftlich vortastende Bewegung. Die Figur erklärt sich. Lass es kommen, denke an die Kraft der ersten Gedanken und lass sie auf das Papier fließen.
Alle Texte dürfen entstehen.
Schreibe mit allen Sinnen.
Nächstes Mal
Der Weg, den unsere Figur gehen wird, das ist der Weg vom Mangel in die Fülle.
Das ist unsere nächste Station: Die Lösung.
Und unser nächster Workshop:
Folge 3: Lösung – Fr. 21.4.23, 14-16 Uhr
Und da ist sie: Die neue Lösung. Die Lösung, die für alle Gewinn bringt. Weil der Blick geweitet wird. Weil wir die anderen verstehen in ihren Gefühlen und Bedürfnissen. Weil die Held:in gute Lösungen für alle sucht und sie immer findet. Denn sie sind da. Ist das nicht atemberaubend schön? Die guten Lösungen für alle existieren, wir müssen sie nur aufschreiben.